Das Aus für Balkonkraftwerke oder Panikmache? – IEC 60364‑7‑75
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Balkonkraftwerke oder steckerfertige Solaranlagen erfreuen sich in Deutschland zunehmender Beliebtheit. In diesem Jahr wurde die magische Zahl von über 1 Million angemeldeten Balkonkraftwerken in Deutschland erreicht. Bis zum Jahresende wird sich diese Zahl vermutlich noch deutlich erhöhen.
Ob mit oder ohne angeschlossenes Speichersystem ermöglichen diese kleinen Solaranlagen für Privatleute, grünen Strom im eigenen Haushalt zu erzeugen und somit die Stromkosten zu senken und einen Beitrag zum Umweltschutz zu leisten. Mit dem Solarpaket 1 (zum Artikel) wurden im vergangenen Jahr die Hürden für die Installation deutlich gesenkt, um zum einen die Energiewende voranzubringen und den bürokratischen Aufwand für die Anmeldung zu minimieren. Eine neue Produktnorm der IEC (International Electrotechnical Commission) droht diesen Erfolg zunichtezumachen und den Aufwand für die Installation von Balkonkraftwerken und Speichersystemen für Privatleute deutlich zu verkomplizieren. Wir haben uns die IEC 60364‑7‑751 einmal genauer angeschaut und geben Euch hier einen Überblick über die aktuellen Entwicklungen.
IEC – Wer ist das eigentlich und welche Änderungen werden gefordert?
Wie es der Name bereits vermuten lässt, ist die Internationale elektrotechnische Kommission (IEC) eine Normungsorganisation, die auf internationaler Ebene Vorgaben für die Bereiche Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik erstellt. Diese Normen gelten als Vorgabe für über 170 Länder weltweit und werden von den jeweiligen Ländern genutzt, um Elektronik und elektrotechnische Anlagen in Bezug auf Sicherheit, Effizienz und Zuverlässigkeit zu harmonisieren.
In der Produktnorm 60364‑7‑751 werden unter anderem die Anforderungen für den Anschluss von Niederspannungserzeugungsanlagen an das Hausnetz beschrieben. Diese Anforderungen gelten somit für den Anschluss von Balkonkraftwerken oder den von uns getesteten Speichersystemen (Zendure, Hoymiles, Anker) mit integriertem Wechselrichter.
Bisher war es möglich, diese Systeme mittels einfachem Schuko-Stecker direkt mit einem beliebigen Stromkreis im Haushalt zu verbinden. Die Installation ist somit selbst für Laien ohne große Umbauarbeiten oder erhöhten Kostenaufwand möglich. Die neue Produktnorm der IEC sieht hier grundlegende Änderungen vor. Zum einen wird ein separater Stromkreis für den Anschluss gefordert. Das bedeutet, es wird vom Sicherungskasten ein eigenes Stromkabel bis zum Balkonkraftwerk verlegt, an dem keine weiteren Verbraucher angeschlossen sind. Doch das ist noch nicht alles. Der Schuko-Stecker ist nach Angaben der IEC nicht für die Einspeisung geeignet und somit unzulässig. Somit muss neben dem separaten Stromkreis eine eigene Einspeisesteckdose installiert oder das Balkonkraftwerk fest verdrahtet angeschlossen werden. Werden diese Arbeiten von einer Elektrofachkraft durchgeführt, können je nach baulichen Gegebenheiten Kosten im vierstelligen Bereich anfallen. Für Mieter wäre eine solche Forderung vermutlich gar nicht umsetzbar, da die baulichen Veränderungen wohl vom Vermieter nicht genehmigt werden würden. Somit wäre die Anschaffung einer solchen Anlage für die meisten Nutzer unrentabel oder sogar unmöglich.
Gesetzeslage und Folgen für Deutschland
Die Forderungen der IEC Norm 60364‑7‑751 sind für Deutschland nicht bindend. Diese Normen gelten als internationale Grundlagen und können, aber müssen nicht von den Ländern übernommen werden. Weiterhin liegt die endgültige Fassung der IEC-Norm noch nicht vor. Diese befindet sich lediglich im Entwurfsstadium und kann noch weitreichend geändert werden. Der Deutsche Verband für Elektrotechnik (VDE) wird voraussichtlich bis Ende dieses Jahres eine neue Norm für den Anschluss von steckerfertigen PV-Anlagen veröffentlichen, in der alle Kriterien genau definiert werden. Ob und welche Standards aus der IEC-Norm übernommen werden, ist somit bisher nicht bekannt. Selbst der Bundesverband Steckersolar e.V. (BVSS) spricht sich klar gegen diese Neuregulierung aus und fordert eine verbraucherfreundliche Lösung.
Bleiben bisher installierte Anlagen gesetzeskonform?
Internationale und länderspezifische Normen sind keine Gesetze und können somit nicht den Betrieb der Anlagen verbieten. Allerdings werden im Schadensfall (Brand/Fehler/Stromschlag) diese Normen von Gerichten herangezogen, um Schadensersatzansprüche zu klären. Somit haben diese Normen einen Gesetzescharakter. Würde die neue IEC-Norm in ihrer jetzigen Form übernommen werden, ist bisher nicht geklärt, wie mit Bestandsanlagen verfahren wird.
Einschätzung der Redaktion
Aufgrund der bisherigen Informationslage ist es nicht ratsam, in Panik zu verfallen. Zum bisherigen Zeitpunkt ist weder die IEC 60364‑7‑751 Norm in Kraft, noch hat der VDE eine entsprechende Übernahme der Normierung beschlossen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Deutschland die Energiewende in diesem Umfang einbremst und über eine Million installierte Anlagen als nicht normgerecht einstuft. Zudem wären auf einen Schlag zahlreiche Mikrowechselrichter und Speichersysteme in ihrer jetzigen Form unzulässig, was selbst bisher unverkaufte Lagergeräte in Elektroschrott verwandelt. Im Internet finden sich zahlreiche Aufrufe und Forderungen unterschiedlicher Unternehmen und Hersteller, die sich gegen die IEC-Norm aussprechen.
Wer sich diesem Protest anschließen will, findet nach kurzer Google-Recherche zahlreiche Plattformen für einen regen Informationsaustausch.
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